Eines Tages gab der Weise dem Schüler einen leeren Sack und einen Korb voller Kartoffeln. “Denk an alle Menschen, die in letzter Zeit etwas gegen dich gesagt oder getan haben, besonders jene, denen du nicht vergeben kannst. Schreibe von jedem den Namen auf eine Kartoffel und tue sie in den Sack.”
Dem Schüler fielen eine Menge Namen ein, und bald war sein Sack voll mit Kartoffeln.
“Trage den Sack eine Woche lang mit dir, wohin du auch immer gehst, ” sagte der Weise. “Wir werden dann wieder darüber sprechen.”
Zuerst dachte sich der Schüler nichts dabei. Den Sack zu tragen war nicht besonders schwer. Aber nach einer Weile, wurde er immer mehr zu einer Last. Er war manchmal im Weg, und es schien mehr Anstrengung nötig, ihn zu tragen, ob wohl das Gewicht das gleiche blieb.
Nach einigen Tagen begann der Sack zu stinken. Die geritzten Kartoffeln gaben einen reifen Geruch ab. Es wurde nicht nur immer lästiger, sie herumzutragen, sie wurden auch noch recht unangenehm.
Schliesslich war die Woche vergangen. Der Weise rief den Schüler herbei. “ Hast du irgendwelche Erkenntnisse oder Ideen dazu gewonnen.?”
“Ja, Meister,” antwortete der Schüler. “Wenn wir es nicht schaffen, anderen zu vergeben, tragen wir negative Gefühle mit uns herum, so wie diese Kartoffeln. Diese Negativität wird eine Last für uns, und nach einer Weile verfault es auch noch.”
“Ja genau das passiert, wenn man einen Groll hegt. Wie also können wir die Last verringern?”
“Wir müssen danach streben zu vergeben.”
“Jemanden zu vergeben ist gleichwertig, dem Herausnehmen einer Kartoffel aus dem Sack. Wie vielen deiner Missetäter bist du fähig zu vergeben?”
“Ich habe recht viel darüber nachgedacht, Meister, ” sagte der Schüler. “Es braucht zwar eine Menge Überwindung, aber ich habe mich entschieden, ihnen allen zu vergeben.”
“Sehr gut, wir können alle Kartoffeln entfernen. Gab es noch andere Leute, die dir in dieser Woche schlecht gesinnt waren?”
Der Schüler dachte eine Weile darüber nach, und gab zu, dass es welche gab. Dann verspürte er Panik, als er erkannte, dass sein Sack schon wieder dabei war, gefüllt zu werden.
“Meister,” fragte er, “wenn wir so weitermachen, werden dann nicht immer Kartoffeln in meinem Sack sein, Woche für Woche?”
“Ja, solange Menschen auf irgendeine Weise etwas gegen dich tun oder sagen, wirst du immer Kartoffeln haben.”
“Aber Meister, wir können niemals kontrollieren, was andere tun. So wozu ist das Tao in diesem Fall gut?”
“Wir sind noch nicht im Bereich des Tao. Alles worüber wir bisher gesprochen haben, ist das normale Verständnis von Vergebung. Es ist das selbe, das viele Philosophien und Religionen predigen – wir müssen ununterbrochen danach streben zu vergeben, da es eine wichtige Tugend ist. Dies ist nicht das Tao, da es im Tao kein Streben gibt.”
“Was ist dann das Tao, Meister?”
“Das kannst du selbst herausfinden. Wenn die Kartoffeln negative Gefühle sind, was ist dann der Sack?”
“Der Sack ist… das, was es mir erlaubt, die Negativität festzuhalten. Es ist ewas in uns, das uns dazu bringt, uns angegriffen zu fühlen…. Ah, es ist mein aufgeblasener Sinn meiner eigenen Wichtigkeit.”
“Und was passiert, wenn du ihn loslässt?”
“Dann… scheinen die Dinge, die Menschen die etwas gegen mich tun oder sagen, keine so grosse Sache mehr zu sein.”
“In dem Fall, wirst du keine Namen mehr haben, um sie auf Kartoffeln zu schreiben. Das bedeutet, kein Gewicht mehr, das du herumtragen musst, und keinen Gestank mehr. Das Tao der Vergebung ist die bewusste Entscheidung, nicht nur ein paar Kartoffeln zu entfernen, sondern gleich den ganzen Sack loszulassen.”
Derek Lin